Jan Wohlgemuth
Geschichte der deutschen Sprache
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2. Thematische Längsschnitte vom (Indo)Germanischen zum Neuhochdeutschen
2.1 Lautgeschichte / Phonologie
2.1.1 Allgemein
Zweifellos sind die wesentlichsten Veränderungen in der Geschichte der deutschen Sprache lautlicher Natur. Die Lautverschiebungen, die zur Differenzierung der Dialekte führen genauso wie die Nebensilbenabschwächung, die großen Einfluß auf die gesamte Flexion hatte.
Diese Entwicklungen lassen sich grob in zwei Phasen unterteilen. In der ersten Phase, bis in die Zeit des Althochdeutschen hinein, war hauptsächlich der Konsonantismus Veränderungen unterworfen. Er festigte sich dann aber dauerhaft bis in unsere Zeit. In der zweiten Phase war dann das System der Vokalphoneme von den Umwälzungen betroffen, die teilweise (in einigen Dialekten) noch bis heute andauern.
2.1.2 Konsonantismus
2.1.2.1 Erste oder germanische Lautverschiebung
im System der Verschlußlaute:
a) [p, t, k] à
[f, þ, c
] stimmloser Plosiv à
stimmloser Frikativ
b) [b, d, g] à
[p, t, k] stimmhafter Plosiv à
stimmloser Plosiv
c) [bh, dh, gh]à
[b, ð,g
] (<b d,g>) stimmhafter behauchter Plosiv à
stimmhafter Frikativ
Beispiele: idg. *peku > ahd. fisk aber lat. piscis.
Diese Verschiebungen fanden nicht in sog. gedeckter Stellung statt, wenn entweder schon im Idg. dem zu verschiebenden Laut [s] vorausging (lat.: spuo, ahd.: spiwan) oder wenn im Idg. zwei Verschlußlaute aufeinanderfolgten (dann wurde nur der jeweils erste verschoben: lat.: noct, got.: naht).
Die stimmlosen Frikative wurden inlautend stimmhaft, wenn der Wortakzent im Idg. nicht auf dem Vokal davor lag: [s, f, Þ, c] à
[b, ð,g, z] ([z] entsteht als neues Phonem). Diese Erscheinung wurde nach dem dän. Sprachwissenschaftler Karl Verner Vernersches Gesetz genannt. Grimm, der das Phänomen noch nicht erklären konnte, nannte es grammatischen Wechsel.2.1.2.2 Westgermanische Konsonantengemination:
Verdopplung von Konsonanten vor [j], seltener [w, l, r]. bidjan (got) ~ bitten (ahd.); germ. *kunja > got. kuni / ahd. kunni (‚Sippe, Familie’)
2.1.2.3 Zweite oder althochdeutsche Lautverschiebung:
a) Tenuesverschiebung:
postvokalisch [p, t, k] à
[ff, ss, hh (=x)] Plosiv à Doppelfrikativ
initial, vor Geminata, postkonsonantisch [p, t, k] à
[pf, ts, kx] Plosiv à Affrikate
Keine Verschiebung bei [sp, st, sk, ft, ht, tr], z.B. opan > offan; watar > wazzar; tekan > zeihhan; plegan > pflegan; holta > holz; korna > kchorn
b) Medienverschiebung
[b, d, g], [b, ð,g ] > [p, t, k], [b, t, g] z.B. dag > tag
c) Wandel [þ] > [d]; germ. *broþar > as. brothar / ahd. bruoder
2.1.2.4 Ersetzung der sonantischen Liquide und Nasale:
idg. [l, r, n, m8 ] wurden zu germ. [ul, ur, un, um]. (*plno’voll’ > got. fulls).
2.1.2.5 Nasalschwund mit Ersatzdehnung:
germ. *Þanhto > da:hta (‘dachte’); *Þunhto > du:hta (‘dünkte’), *sinh- > si:han (‘seihen').
2.1.2.6 Palatalisierung von [s] > [ò ] / _K
a) mit Wegfall von K [sk] > [ò] (<sk> > <sch>) scriban > schriben
b) ohne Wegfall von K [sl] > [òl] (<sl> > <sch>) slange > schlange
[sm] > [òm] (<sm> > <schm>) smal > schmal
[sn] > [òn] (<sn> > <schn>) snel > schnell
[sw] > [òw] (<sw> > <schw>) geswinde > geschwinde
[sp] > [òp] (<sp> bleibt <sp>) spil
[st] > [òt] (<st> bleibt <st>) stellen
2.1.2.7 Auslautverhärtung:
Auslautende [b,d,g] werden zu [p,t,k] (Fortes > Lenes; [+sth.] > [-sth.]). Im mhd. spiegelt sich das in der Schrift wieder, diese Konsequenz läßt die gegenwärtige Orthographie leider vermissen.
2.1.3 Vokalismus
2.1.3.1 Monophthongierung von germ. ai und ou:
[ai] > [e:] vor [r, h, w]; [ou] > [o:] vor Dentalen [d, t, s, z, n, r, l] und germ. [h] daher ahd. ouga, ora aber got. augo, auso; dadurch entsteht ein zweites [e:] und [o:], das jeweils dem alten germ. [e:] bzw. [o:] im Phonemsystem entgegen steht. Deshalb:
2.1.3.2 Diphthongierung von germ. [e:] und [o:]:
[e:] > [ie], [o:] > [uo]; z.B. got./as. her, ahd. hier/hiar; as. brothar / ahd. bruoder
2.1.3.3 Zusammenfall von Vokalen:
die Kurzvokale [a,o,e] fallen zusammen zu [e]; die Langvokale [a:, o:] fallen zusammen in [o:]; [ei] < [i:]
2.1.3.4 i-Umlaut:
[i, i:, j] in der Folgesilbe bedingen folgende Lautveränderungen:
a > e (ä) (gast - gesti)
a: > æ (ahd. mâri mhd. mære 'Erzählung')
u > ü (ahd. kussen mhd. küssen)
u: > iu [y:] (ahd. hlûten mhd. liuten 'läuten')
o: > [:] (ahd. skôni mhd. schne )
ou > öu (ahd. loufit mhd. löufet)
uo > üe (ahd. guoti mhd. güete)
Hier zeigen sich zwei unterschiedliche Schichten des Umlauts. Der erste Typ, der sog. Primärumlaut, in a > e, der sich auch in der ahd. Orthographie niederschlägt, und den anderen, (Sekundärumlaut) der erst in der mhd. Schreibung Eingang findet. Dies legt nahe, daß die Umlauterscheinungen zeitlich gestaffelt eintraten. Solange die Bedeutungsunterscheidung noch durch die Endsilben gewährleistet war, konnten daher Formen wie sconi (gesprochen scni) und scono noch gleich mit <o> geschrieben werden. (Im mhd. ändert sich das durch die Endsilbenabschwächung...)
2.1.3.5 Kombinatorischer Lautwandel im gesamten Westgerm.: (sog. Brechung)
germ. e > i vor i,j,u, Nasal+Konsonant
germ. i > e vor i,j,u, Nasal+Konsonant
germ. u, idg. [l, r, n, m] und germ. [ul, ur, un, um] > o vor a,e,o
germ. eu > io vor a,e,o; iu vor i,j,u
Das zeigt sich im ahd. Flexionssystem: z.B. nimu, nimis aber nement (nehme, nimmst, sie nehmen)
2.1.3.6 Monophthongierung
der Diphthonge ie, uo, üe > i, u, ü (liebe guote brüeder > liebe gute Brüder)
2.1.3.7 Diphthongierung
der Langvokale î, ü [y:], û > ei, eu, au (mîn niuwes hûs > mein neues Haus)
2.1.3.8 Senkung
a) der hohen Vokale: sunne > günnen > gönnen, hüle > Höhle, Sonne, sun > Sohn
b) der Diphthonge ei, öu, ou: /ei/ > /ai/, /öu/ > /eu/, /ou/ > /au/; weinen > weinen, fröude > Freude, boum > Baum
2.1.3.9 Hebung
der tiefen Vokale: mâne > Mond, âne > ohne
2.1.3.10 Rundung
zwelf > zwölf, lewe > Löwe, finf > fünf,
2.1.3.11 Entrundung
küssen > Kissen, nörz > Nerz
2.1.3.12 Kürzung
von Langvokalen in geschlossener Silbe: hêrlih > herrlich, brâhte > brachte
2.1.3.13 Dehnung
von Kurzvokalen in offener Silbe: geben > geben, bote > Bote, klagen > klagen
2.1.3.14 Anmerkung zu den Nhd. Entwicklungen
Die Erscheinungen der Rundung, Entrundung, Hebung und Senkung der Monophthonge sind dabei nicht systematisch vorgegangen.
2.2 Morphologie
2.2.1 Verben
2.2.1.1. Starke vs. schwache Konjugation
Der neuhochdeutsche Gesamtwortschatz wird mit ca. 500.000 bis 600.000 Wörtern beziffert, von dem etwa 25% Verben sind. Diese teilen sich auf in zwei Klassen, die starken Verben, die in ihrer Konjugation einen systematischen Vokalwechsel (sog. Ablaut) im Grundmorphem (Stamm) haben, und die schwachen Verben ohne systematischen Vokalwechsel. Der Anteil der starken Verben ist dabei durchweg der Ältere. Zu den etwa 180 Formen treten keine neuen mehr hinzu, das System ist abgeschlossen. Neu entstehende Verben haben also immer eine schwache Flexion (Merkmal: Dentalsuffix (aus enklitischem -tat) im Präteritum).
Der systematische Lautwechsel im Präsens der starken Flexion ist unterscheidbar nach sieben Hauptklassen, er hat jedoch keine grammatische Funktion mehr, wie der idg. Ablaut:
1. a à
e
2. a: à
ä:
3. o à
ö
4. au à
äu
5. e à
i
6.a e: à
i:
6.b e: à
i
7 ö à
i
2.2.1.2. Ablautreihen:
Unter Ablaut versteht man den regelmäßigen Wechsel von Vokalen in etymologisch zusammengehörigen Wörtern oder Wortteilen; im engeren Sinne nur im Indogermanischen.
Zum Vergleich zwei althochdeutsche Ablautreihen:
1. biotan, biutu, bôt, butun, gibotan bzw.
2. grîfan, grîfu, greif, grifun, gigriffan
Zur besseren Darstellung reduziere ich auf die ausschlaggebenden Vokale:
1. io, iu, ô, u, o
2. î, î, ei, i, i
Diese Vokale führen wir nun auf ihre idg. Ursprünge zurück:
1. io/iu < eu; ô < ou; u/o < u;
2. î < ei; ei < oi; i < i
Dabei stellt sich heraus, daß im idg. die Ablautreihen so aussahen
1. eu, eu, ou, u, u à eu-ou-u
2. ei, ei, oi, i, i à ei-oi-i
Also wechselt im idg. nur der erste Bestandteil des Diphthongs: e-o-Ø
Es handelt sich um einen (qualitativen) Ablaut auf der mittleren Ebene des Vokaldreiecks:
i u e o a
Hier ist also die eigentliche Regelmäßigkeit des Ablauts zu finden, die durch die lautlichen Entwicklungen verschleiert bzw. verwischt wurde.
Es gibt noch andere Ablautvarianten (â-ô-Ablaut, qualitaviver e-ê-Ablaut), auf die ich aber hier nicht eingehen möchte.
2.2.1.3. analytische Tempora
Im Germanischen gibt es keine analytischen Tempora. Die Einführung und Verwendung dieser Zeiten wird zurückgeführt auf den Versuch, die deutsche Grammatik mit den Mitteln der lateinischen Grammatik analog zu beschreiben, nachdem die synthetischen Tempora teilweise bereits im Germanischen, sonst durch den Formenzerfall (wegen der Abschwächung der Nebensilbenvokale) verfielen.
2.2.1.4. Flexion
Durch die verschiedenen lautlichen Entwicklungen, insbesondere durch die Abschwächung der Nebensilben kam es zu einem starken Verfall der Flexionsparadigmen, vor allem im Konjunktiv.
2.2.2 Substantive
2.2.2.1 Vorbemerkung
Wie schon in der Adjektiv- und in der Verbflexion gezeigt, hatte die Entwicklung des Lautsystems Einfluß auf die Flexion. Im Germanischen war jeder Kasus durch ein eigenes Relationsmorphem eindeutig gekennzeichnet:
dag-a-z (Nom.Sg.), dag-a-ns (Akk. Pl.)
gast-i-z (Nom.Sg.), gast-i-ns (Akk.Pl.)
dabei sind {dag, gast} Grundmorpheme (Wurzeln), {-i-, -a-} Formationsmorpheme (Stammbildungeselemente) und {-z, -ns} Relationsmorpheme (Flexionselemente).
Die Substantive wurden anhand der Stammbildungselemente in Klassen eingeteilt, nämlich die "schwache", -n-Klasse und die "starken", Klassen mit -a-, -i- und andereren Vokalen.
2.2.2.2 Deklinationsparadigmen im Althochdeutschen
Klasse |
Maskulinum |
Neutrum |
Femininum |
|||
Singular |
Plural |
Singular |
Plural |
Singular |
Plural |
|
1 -n |
der boto
des boten demo boten den boton |
dia boton dero botôno dêm botôm dia boton |
daz herza des herzen demo herzen |
diu herzen dero herzôno dêm herzôm diu herzun |
diu zunga dera zungûn deru zungûn dia zungûn |
dio zungûn dero zungôno dêm zungôm dio zungûn |
2 -ô |
diu geba dera geba deru gebu dia geba |
dio gebâ dero gebôno dêm gebôm dio gebâ |
||||
3 -a |
der tag des tages demo tage den tag |
dia taga |
daz wort des wortes demo worte daz wort |
diu wort dero worto dêm wortum diu wort |
||
4 -i |
der gast des gastes demo gaste den gast |
dia gesti dero gestio dêm gestim dia gesti |
diu kraft dera krefti deru krefti dia kraft |
dio krefti |
Hier zeigt sich, daß die Akzentfestlegung auf den Wortanfang bereits für eine Verwischung und Vereinfachung sowie einen Wegfall einzelner Formen gesorgt hat; der Artikel, der hier dazugesetzt ist, brauchte im ahd. nicht verwendet zu werden, so daß eine isolierte Form nicht immer eindeutig einem Kasus zugeordnet werden kann. Dennoch ist die Kasuskennzeichnung relativ gut erkennbar, wohingegen eindeutige Numerus- und Genuskennzeichnung nicht vorhanden sind.
Es traten mehrere Sonderklassen auf, von denen eine für die weitere Entwicklung besonders wichtig wurde:
Neutrum |
|
Singular |
Plural |
daz lamb des lambes demo lambe daz lamb |
diu lembir dero lembiro dêm lembirum diu lembir |
-ir-
ist ein Stammbildungselement, das im Singular weggefallen ist. Es löst im Pl. den Umlaut aus, und wird so später Vorbild für eine neue Art der Pluralbildung. Umlaut + (abgeschwächtes) -er wird im mhd. zu einem neuen Pluralkennzeichen in Wörtern, die zuvor keinen Umlaut hatten (nhd. Sg - Pl. Wort - Wörter, Wald - Wälder).2.2.2.3 Deklinationsparadigmen im Mittelhochdeutschen
Klasse |
Maskulinum |
Neutrum |
Femininum |
|||
Singular |
Plural |
Singular |
Plural |
Singular |
Plural |
|
1 |
der bote des boten dem boten den boten |
die boten der boten den boten die boten |
daz herze des herzen dem herzen daz herze |
diu herzen der herzen den herzen diu herzen |
diu zunge der zungen der zungen die zunge |
die zungen der zungen den zungen die zungen |
2 |
diu gebe der gebe der gebe die gebe |
die gebe der geben den geben die gebe |
||||
3 |
der tac des tages dem tage den tac |
die tage der tage den tagen die tage |
daz wort des wortes dem worte daz wort |
diu wort der worte den worten diu wort |
diu zît der zîte der zîte die zît |
die zîte der zîte den zîten die zîte |
4 |
der gast des gastes dem gaste den gast |
die geste der geste den gesten die geste |
daz blat des blates dem blate daz blat |
diu bleter der bleter den bletern diu bleter |
diu kraft der kraft/krefte der kraft/krefte die kraft |
die krefte der krefte den kreften die krefte |
Es zeigt sich hier die Fortsetzung der bereits im ahd. begonnenen Entwicklung. Oft gibt es nur noch zwei Wortformen, so daß der Kasus nicht mehr am Wort selbst feststellbar ist. In der 1. Klasse bildet sich ein Einheitsplural, in dem alle Formen gleich sind, in der 2. Klasse ein Einheitssingular, der im Femininum der 4. Klasse zunächst ansatzweise, später vollständig entsteht, so daß hier der Umlaut nur noch im Plural auftritt. Die o.a. Sonderklasse
Neutrum |
|
Singular |
Plural |
daz lamb des lambes dem lambe daz lamb |
diu lember der lembere den lemberen diu lember |
zeigt die bereits angesprochene Entwicklung ebenfalls. Durch diese wird der Umlaut volksetymologisch zum Pluralkennzeichen gemacht und dringt mit analogen Bildungen in andere Paradigmen ein.
Insgesamt ist also eine genauere Numeruskennzeichnung zu lasten einer immer weiter verwischten Kasuskennzeichnung eingetreten; eine Entwicklung, die sich zum Neuhochdeutschen hin fortsetzt, wobei Einheitssingular im Femininum und (unvollständiger) Einheitsplural in allen Genera analog auf die anderen Klassen übertragen wurden.
Diese Vereinfachung der Formenvielfalt durch den Endsilbenverfall hatte zur Folge, daß die Kasuskennzeichnung vom Substantiv weg auf das Adjektiv und den Artikel verlagert wurde.
2.2.3 Adjektive
2.2.3.1 Vorbemerkung
Adjektive haben drei grammatischer Kategorien, die an ihnen ausgedrückt werden: Kasus, Numerus, Genus. Wenn man sich aber das Flexionsparadigma der ahd. Adjektive ansieht, so gibt es für jede der 24 Positionen zwei Formen, eine sogenannte nominale (schwache) und eine pronominale (starke) Form. Die zwei Formen waren schon im Germanischen vorhanden und hatten die Funktion, die heute durch die Artikel wahrgenommen wird. Eine nominale Form war individualisierend, eine pronominale Form generalisierend. Z.B. ahd.: kilaubu in kot fater almahticun '...den allmächtigen' versus in hohan berg '(irgend)einen hohen Berg' oder nioman sentit niowan wîn in alte belgi 'niemand füllt jungen Wein in alte Schläuche'.
2.2.3.2 Althochdeutsche Adjektivendungen
Maskulinum | Neutrum | Femininum | ||||
nominal | pronominal | nominal | pronominal | nominal | pronominal | |
Nom. Sg. Gen. Dat. Akk. |
-o -en -en -on |
-êr -es -emo -an |
-a -en -en -a |
-az -es -emo -az |
-a -ûn -ûn -ûn |
-iu -era -eru -a |
Nom. Pl. Gen. Dat. Akk. |
-on -ôno -ôm -on |
-e -ero -êm -e |
-un -ôno -ôm -un |
-iu -ero -êm -iu |
-ûn -ôno -ôm -ûn |
-o -ero -êm -o |
Wie die Tabelle zeigt, wirkte sich auch hier die Abschwächung der Nebensilben auf die Morphologie aus: Formen wurden uneindeutig oder fielen zusammen. Um die alte Unterscheidung individuell / generell weiter ausdrücken zu können, mußten nun Umschreibungen mit Demonstrativpronomen (indiv.) bzw. Zahlwort ein (gener.) verwendet werden. Daraus entstanden später die Artikel.
2.2.3.3 Mittelhochdeutsche Adjektivendungen
Maskulinum | Neutrum | Femininum | ||||
nominal | pronominal | nominal | pronominal | nominal | pronominal | |
Nom. Sg. Gen. Dat. Akk. |
-e -en -en -en |
-er -es -em -en |
-e -en -en -e |
-ez -es -em -ez |
-e -en -en -en |
-iu -er -er -e |
Nom. Pl. Gen. Dat. Akk. |
-en -en -en -en |
-e -er -en -e |
-en -en -en -en |
-iu -er -en -iu |
-en -en -en -en |
-e -er -en -e |
Die Entwicklung des Zusammenfalls setzt sich im Mhd. fort und führt zu einem Verlust der Eindeutigkeit. Die Trennung stark / schwach ist nicht mehr durchgängig vorhanden. Deshalb verliert sie auch ihre Funktion. Die verschiedenen Formen werden jetzt formal verwendet:
nach bestimmtem Artikel: nominale Form
nach unbestimmtem Artikel: pronominale Form
ohne Artikel: pronominale Form
2.2.3.4 Neuhochdeutsche Adjektivendungen
Maskulinum | Neutrum | Femininum | ||||
nominal | pronominal | nominal | pronominal | nominal | pronominal | |
Nom. Sg. Gen. Dat. Akk. |
-e -en -en -en |
-er -en -em -en |
-e -en -en -es |
-es -en -em -es |
-e -en -en -e |
-e -er -er -e |
Nom. Pl. Gen. Dat. Akk. |
-en -en -en -en |
-e -er -en -e |
-en -en -en -en |
-e -er -en -e |
-en -en -en -en |
-e -er -en -e |
Die inzwischen eigentlich überflüssigen (da ihrer ursprünglichen Funktion beraubten) starken Formen sind im Nhd. immer noch vorhanden. Sie haben eine neue Funktion übernommen: sie sind Kasuskennzeichen, wenn der Kasus nicht eindeutig durch Substantiv, Artikel oder Pronomen gekennzeichnet ist. Ist der Kasus bereits eindeutig gekennzeichnet, wird die schwache Form verwandt:
Auf diese Weise ergänzen sich die Endungen der Substantive und Adjektive nahezu vollständig, so daß eine eindeutige Kennzeichnung des Kasus in den meisten Fällen gewährleistet ist.
2.3 Syntax
2.3.1 Generelle Entwicklung
In der Entwicklung der Syntax der deutschen Sprache sind zwei Haupterscheinungen festzustellen. Zum einen wird der synthetische Satzbau mehr und mehr vom zum analytischen Satzbau verdrängt, Artikel, Personalpronomina, Hilfs- und Modalverbkonstruktionen u.ä. treten hinzu.
Gleichzeitig bewirkt der Verfall der Flexionssysteme (insbesondere der Kasusverfall) eine rigidere Satzstellung. Satzglieder, die zuvor an jeder Position stehen konnten, sind nun auf bestimmte Positionen festgelegt. Dies soll an zwei Beispielen gezeigt werden:
2.3.2 Stellung des finiten Verbs
In den älteren Sprachstufen war die Satzstellung nicht so festgelegt wie im Neuhochdeutschen. So konnte das finite Verb an jeder Position stehen:
Das ist im Neuhochdeutschen nicht mehr so. Die Festlegung auf die 2. Stelle (Mit Ausnahmen in lyrischer Sprache, Fragesätzen, Imperativsätzen, Wunschsätzen) fällt zeitlich zusammen mit der Entstehung der analytischen Tempora.
Zugleich gibt es seit dem Anfang des Nhd. die Tendenz, einen prädikativen Satzrahmen (Neuhochdeutsche Satzklammer) zu bilden, also die finite und die infinite Verbform in eine Distanzstellung zu bringen: So wird das Prädikat um weite Teile des Satzes herum aufgeteilt.
2.3.3 Stellung des Attributs
Auch die Stellung des Attributs hat sich verändert. Konnte es in den älteren Sprachstufen sowohl voran- als auch nachgestellt werden, so ist im Nhd. nur eine Voranstellung zulässig:
2.4 Lexikon
2.4.1 Bedeutungswandel
Nicht nur die Form der sprachlichen Zeichen, auch deren Inhaltsseite, bzw. ihre Bedeutung, kann sich im Laufe der Zeit verändern. Bedeutung ist hier als die Denkbedeutung zu verstehen, die von der kategoriellen Bedeutung ('Tun', 'Ding', 'Eigenschaft') zu trennen ist. Bedeutungswandel kann eintreten, wenn sich die außersprachlichen Sachverhalte ändern. Dies kann nach verschiedenen Prinzipien geschehen:
2.4.2 Wortschatz
Sprachlicher Wandel im Bereich des Lexikons ist aber auch auf andere Weise möglich. So bereichern auf der einen Seite Neuschöpfungen, Lehnwörter und Fremdwörter den Wortschatz (z.B. Blauhelm, Wolkenkratzer, Laser), auf der anderen Seite werden Wörter oder Wortverwendungen ungebräuchlich und fallen aus dem Wortschatz heraus (z.B. minne).